Eyecatcher Für Jugendliche

17-jähriges Mädchen

Ich glaube, es ist mir noch nie so schwer gefallen, über meine Schmerzen zu reden oder zu schreiben. Man sollte doch meinen, wenn man jahrelang damit gelebt hat, wäre es einfach, diesen Teil des Lebens genau erzählen zu können.

Fangen wir mal mit der Gegenwart an. Ich bin momentan noch 17 Jahre alt. Diesen Juni [2013] werde ich 18, was ehrlich gesagt niemand, der mich seit Jahren kennt, dachte. Wir dachten wirklich, dass mein Körper vorher aufgeben würde. Tat er aber dann doch nicht.

Ich hatte ca. 4 Jahre lang hauptsächlich Schmerzen im Bauch. Es fing eigentlich schon viel früher an, aber irgendwie kann ich mir nie merken, wie es wirklich angefangen hat. Jeder sagt was anderes. Ich hab es eigentlich so im Kopf, dass ich mit 14 Jahren eine Infektion hatte und dann krank geschrieben war. Als ich dann wieder zur Schule gehen sollte, bekam ich Bauchschmerzen. Erst nur morgens für ein oder zwei Stunden. So fing es an. Jeden Tag steigerte es sich mehr und mehr. Es war aber nicht so, dass ich Angst vor der Schule hatte oder so. Nein, eigentlich mochte ich die Schule und hatte dort ja auch meinen Freundeskreis. Wie ich jedoch schnell feststellen durfte, wurde dieser sehr schnell sehr klein. Ich war dann nach ca. einem Monat im Krankenhaus, Verdacht auf einen Tumor. Blieb dort zwei Wochen und kam dann damit raus, dass ich doch gar keine Bauchschmerzen hätte. Ich solle mich doch nicht so anstellen. Toll oder? Aber jeder, der Schmerzen hat, hat es bestimmt schon mal gehört. 

So ging es eigentlich dann auch weiter. Vor Datteln war ich in zwei Krankenhäusern, fast täglich bei meinem Hausarzt, den ich aber 3-mal gewechselt hatte, bei einer Heilpraktikerin und schlussendlich bei einer Gesprächstherapeutin. Rede mal deine Schmerzen von der Seele, war die Idee. Schön und gut. Geklappt hat es ja eh nicht. Ich habe ziemlich viele Medikamente geschluckt gegen die Schmerzen, da irgendwann mein Körper nicht mehr auf die üblichen Schmerzmittel reagiert hat. Wunderbar, wenn der Körper einen im Stich lässt. Aber ich glaube, davon könnte jeder mal ein Lied singen. Wenn man so lange mit Schmerzen gelebt hat, verschwinden irgendwie die Erinnerungen, sobald man erzählen soll. Wie ich schon vorher erwähnt hatte, wurde mein Freundeskreis immer kleiner. Keiner dieser so genannten Freunde fand, dass ich es wert sei, sich drum zu kümmern. Sie glaubten mir meine Schmerzen nicht und machten mich fertig, machten sich lustig, grenzten mich aus und, nun ja, so wie Jugendliche sein können. Die Ärzte, die mir eigentlich helfen sollten, waren genauso drauf. Es gab nur einen Arzt, der nicht sagte, ich sei psychisch am Arsch. Er glaubte, dass dort irgendwas war, was meine Schmerzen auslöste, auch wenn er nicht wusste, was es war. Ich hab dem Arzt und seiner Frau, einer Heilpraktikerin, echt viel zu verdanken. Ich glaube, ohne die beiden hätte mich jeder längst aufgegeben, und ich wäre wirklich gestorben, nicht nur wegen der Schmerzen. Meine Verwandten reagierten genauso darauf. Die einzige, die mir glaubte, war meine Familie. Meine Eltern und mein Bruder. Sie haben mich nie aufgegeben. Aber selbst sie waren hilflos und konnten mir nicht helfen.

Kommen wir jetzt aber mal zu dem wichtigsten und interessantesten Thema: Datteln. Datteln ist anders, würde ich sagen. Datteln, oder zumindest die Schmerzabteilung dort, ist anders. Du fühlst dich nicht krank dort, nicht als ob du wertlos bist und keiner dich haben will. Du kriegst das erste Mal das Gefühl, als ob es nicht deine Schuld wäre mit deinen Schmerzen. Ich habe anfangs nie verstanden, warum die Station Leuchtturm heißt, nun weiß ich es. Der Leuchtturm hilft dir, den Weg wieder in ein normales Leben zu finden. Es ist ein verdammt harter und anstrengender Weg, den du eigentlich gar nicht gehen willst. Aber mit jedem Mal, bei dem du keine Schmerzen hast, wirst du immer stolzer, dass du es geschafft hast. Jedoch musst du dafür wirklich kämpfen wollen. Ich hatte eigentlich überhaupt keinen Kampfgeist mehr, als ich nach Datteln kam, und war sauer, als es in den ersten Tagen einfach nicht wegging. Ich hatte das Gefühl, als ob es überhaupt nicht voran ging. Die Schmerzen waren immer noch da, aber man hatte Leute, die die gleichen Probleme hatten. Manchmal sogar welche, die genau das Gleiche wie du durchmachen mussten. Selbst das gibt dir unheimlichen Mut, dass du nicht alleine bist und es schaffen kannst. Ich habe mich also angestrengt. Habe alles ausprobiert und alles gemacht, was sie mir vorgeschlagen haben. Datteln ist immer noch eine schöne Erinnerung, und ich denke gerne an die Zeit zurück, wenn ich wieder am Zweifeln bin. Auch habe ich dort gelernt, was meine Schmerzen auslöst, und weiß nun besser damit umzugehen. Für mich ist emotionaler Druck schlimmer als Druck, der von außen kommt. 

Eins ist jedoch zu sagen: Die Leute in Datteln können gemein werden und dich extrem fordern. Mein Probetag zurück in der Schule war der Horror. Aber ich habe ihn durchgehalten. Hauptsächlich durch die Techniken und meinen Sturkopf, dass ich nicht versagen wollte. Ich wollte nicht, dass die Therapie umsonst war, auch wenn es nur 3 Wochen waren. Aber ich habe es geschafft. Besonders geholfen haben mir dabei das Ablenkungs-ABC und die 5-4-3-2-1-Technik. Von den Techniken her und dem was ich in Datteln gelernt hab, hat mir das am meisten geholfen. Es gibt aber noch eine andere Sache, die mir mehr als alles andere geholfen hat. Der Gedanke, dass nichts Schreckliches in meinem Körper ist, das keiner erkennt. Sondern einfach die Tatsache, dass mein Schmerzzentrum etwas durcheinander ist. Es konnte oder kann nicht mehr richtig mit den Schmerzen umgehen. Aber das ist okay. Jeder ist immer mal wieder durcheinander. Es beruhigt aber ungemein, wenn man weiß, dass sonst alles in Ordnung ist mit einem. Man ist keine Verrückte, keine Aufmerksamkeitssuchende oder eine, die sich alles nur einbildet. Genau dieser Gedanke hat mir mehr geholfen als alles andere. Ich konnte mir selbst wieder glauben, dass die Schmerzen real sind.

Und was ist nun aus mir geworden? Ich wünschte, ich könnte nun schreiben, dass es ein Happy End gab für meine Schmerzen und mich. Dass mein Leben wieder völlig in Ordnung ist nach einem Jahr und ich der glücklichste Mensch der Welt bin. Aber ... wie so oft im Leben kann ich das nicht behaupten. Es ist genau ein Jahr her, dass ich in Datteln war. Ich habe viel erreicht. Ich lebe hauptsächlich ohne Schmerzen und kriege sie in den Griff, wenn sie mich wieder stören. Ich treffe wieder eigene Entscheidungen, darf wieder selbst über mein Leben bestimmen. Ich halte Praktika durch, auch wenn es stressig ist. Ich kann mir selbst erlauben, Pausen zu nehmen und auch mal auf mich zu achten. Ich hab wieder eine Zukunft, auch wenn sie genauso uneinsichtig ist, wie die der "normalen" Teenager. Ich probiere viel aus, denn ich muss noch den richtigen Weg finden. Ich suche mir nun Freunde, die mich und meine Situation verstehen und mich nicht gleich abschießen, nur weil ich noch nicht das kann, was sie können. Ich kann nun stolz erzählen, dass ich nach über 4 Jahren meine Schmerzen im Griff habe. Ich verstecke mich nicht mehr wegen der Schmerzen. Ich bin ich. Auch wenn ich noch nicht weiß wer das ist. Aber nun habe ich wenigstens die Möglichkeit, das selbst herauszufinden, ohne dass meine Schmerzen mir im Weg stehen.

Um zu der wichtigsten und interessantesten Frage zu kommen: Ja, ich habe meine Schmerzen im Griff. Nicht immer, aber immer öfter. Ich hab wieder eine Zukunft, auch wenn die Schmerzen trotzdem da sind.

Der Weg, die Schmerzen los zu werden, ist ein harter Weg. Es wird nicht einfach sein, und wenn ihr ihn bestreitet, wird es oft genug sein, dass ihr euch einfach wieder in den Schmerzen verkriechen wollt, aber denkt mal daran wie gut ein Leben ohne Schmerzen ist.

Ich bin stolz darauf, dass ich alles geschafft hab. Ich hab nicht nur meine Schmerzen im Griff, sondern auch eine Zukunft und eine Vergangenheit gemeistert. Jetzt ist aber gut mit dem Kitschigen.

Das ist meine Geschichte, kurz gefasst. Es ist nicht alles, aber vielleicht das, was euch hilft, Mut gibt oder euch einfach zeigt, wie das so ist.

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