Eyecatcher Für Jugendliche

Junge Frau, 21 Jahre

Wann genau meine Schmerzgeschichte begann kann ich rückblickend nicht mehr wirklich sagen, denn Kopfschmerzen hatte ich oft, sehr oft, aber man misst dem Ganzen ja erst nicht so die Bedeutung bei. Vermehrt an Probleme kann ich mich erinnern, als ich mit 15 zum Exchange Year in der 11. Klasse in Amerika war. Dort musste ich mich oft hinlegen, weil ich solche Kopfschmerzen hatte, aber viele sagten es sei normal, weil man sich erst "an das viele Englisch" gewöhnen müsse. Das glaubte ich dann auch. Allerdings wurde es auch zurück in Deutschland nicht besser, wohingegen es dann erstmal wieder auf die "Umgewöhnung" geschoben wurde. Der Kopf, der Kopf, der Kopf, immerzu hatte ich Kopfschmerzen. Fehlzeiten von über 100 Stunden im Halbjahr waren keine Seltenheit. Viel gefehlt in der Schule hatte ich allerdings schon immer, denn als ich jünger war hatte ich sehr viele Probleme in meinem schulischen Umfeld (Mobbing, aber auch Unterforderung etc). Ich sage dies nicht um Mitleid zu erwecken, sondern weil ich diese Umstände heute als mit die wichtigsten Auslöser für meine Krankheit erachte.         
Verwunderlich allerdings war, dass ich nach meinen Auslandsaufenthalt hier in Deutschland viel besser klarkam, hatte gute Freunde, war sehr glücklich. Die Kopfschmerzen allerdings wurden immer schlimmer. Weswegen ich schlussendlich auch anfing, mich einzuigeln, nicht mehr raus zu gehen, mich nur noch zu bewegen, wenn es wirklich nötig war. Im Grunde legte ich mich jeden Tag nach der Schule nur noch ins Bett. Dennoch wurde es anfangs nicht so ernst genommen. Von vielen nicht. Ich will hier niemandem etwas vorwerfen, weil es halt verdammt einfach ist zu sagen, "Ach man, ich habe Kopfschmerzen". Es war keine gute Zeit.

Auch das "Dunkelste" und wohl Erschreckendste möchte ich euch bei meiner kleinen Geschichte nicht vorenthalten: Die Schmerzmittel. Schlimme kleine Biester. Am Anfang helfen sie ganz gut. Allerdings schwächt das doch recht schnell ab und man nimmt mehr und stärkere. Ich möchte hier kein schlechtes Licht auf meine Eltern werfen, aber mit 16 Jahren bekommt man so etwas doch einigermaßen an den Eltern vorbeigeschleust. Und ich habe viele Tabletten genommen zu der Zeit, schon so grob 25 in der Woche. Jeden Morgen zum Frühstück quasi die Erste. Ohne ging mein Tag gar nicht erst los. Ob ich "schmerztablettenabhängig" war weiß ich nicht. Ich glaube irgendwie schon, aber einen körperlichen Entzug hatte ich nicht, ebenso wenig wie Suchterscheinungen. Ich habe nur versucht, klar zu kommen. Wie drastisch es war, merkte ich, als die Schmerztabletten, die mein Vater nach einer Zahn-OP verschrieben bekommen hat und die ich heimlich nahm, nicht wirkten. Außerdem habe ich mir über einen Bekannten starke Muskelrelaxane besorgt, die alle Muskeln im Körper entspannen sollen, in der Hoffnung, dass das weiterhilft. Tat es nicht. Und man sollte es auch nicht machen, lasst es bitte nicht so weit kommen. 

Neben den konstanten Kopfschmerzen hatte ich auch andere Auswirkungen, zum Beispiel Sehstörungen oder Gefühllosigkeit in den Gliedern, allerdings nicht so konstant wie den Kopfschmerz. 
Das Schlimmste, was mir passiert ist, waren 2 "Schmerzspitzen", welche von jetzt auf gleich kamen ca. eine Minute anhielten und so stark waren, dass ich schreiend und weinend an Ort und Stelle zusammengesackt bin. Zum Glück waren meine beiden Eltern bei der 2ten Schmerzspitze auch anwesend, sodass die Entscheidung getroffen wurde, dass es so einfach nicht weitergehen kann. Der Wendepunkt? Vielleicht, aber beim besten Willen nicht sofort. Denn jetzt begann erstmal der Arztmarathon. Wo fängt man überhaupt an? Also erstmal zum Hausarzt. Zur Massage. Zum EEG. Zum CT. Zum Kernspin. Zum...Zum...Zum... Nichts. Immer wieder kein Befund. Man weiß irgendwann nicht mehr, ob man sich freuen oder traurig sein soll. Erschreckend war es wohl für viele in meinem Umfeld, als ich das erste Mal Äußerungen in die Richtung "Ich wünschte es wäre ein Hirntumor, denn dann würde man endlich mal was finden" tätigte. Im Nachhinein bereue ich natürlich diese Einstellung, aber damals wollte ich einfach nur, dass es endlich vorwärts geht. Das eigentlich "witzige" ist, dass die Lösung für mein Problem als Dattelnerin ja quasi vor der Haustür lag. Nachdem also alles Mögliche getestet worden war und ich für "eigentlich gesund" befunden wurde, wurde ich ENDLICH in die Schmerzambulanz nach Datteln überwiesen. Dort hatten meine Eltern und ich ein langes Gespräch mit Ärzten sowie Psychologen und recht schnell stand fest, ein stationärer Aufenthalt ist nicht zu vermeiden. Durch einige glückliche Umstände hatte ich auch das Glück, dass ich nicht wie gewöhnlich einige Monate auf den Platz auf "5C" warten musste, sondern dass ich bereits 5 Tage nach meinem Gespräch in der Schmerzambulanz mein Zimmer in der Kinderklinik bezog. 

Wie ich meine Zeit im Krankenhaus erlebt habe? Nun, es war nicht immer alles nur Friede, Freude, Eierkuchen, aber wo ist es das schon? Allerdings muss ich sagen, dass ich 2 super Zimmerkolleginnen (zum Glück in meinem Alter) hatte, und wir drei haben uns quasi während der gesamten Therapiezeit gut gegenseitig unterstützt, was mir immer viel Kraft gegeben hat. Wir 3 waren auch noch lange über Therapieende hinaus gut befreundet, und es tat gut jemanden zu haben, der einen vollkommen versteht. Außerdem ist mir dort erstmal bewusst geworden, dass es viele andere gibt, denen es sehr viel schlechter geht als mir, und auch Sie waren alle auf dem Weg der Besserung. So etwas gibt enorme Hoffnung und viel Kraft.            

Aber nun zu mir selber: 
Mittlerweile stand auch meine Diagnose fest. ENDLICH eine Diagnose. Keine körperliche Ursache, aber wenigstens konnte ich mir sicher sein, dass ich mir nicht alles nur einbildete. Endlich konnte mir geholfen werden. Am hilfreichsten waren für mich die Gespräche mit dem Psychologen der Station, der zwar zum einen versuchte der Ursache der Kopfschmerzen auf den Grund zu gehen, aber zeitgleich auch Methoden und Techniken vermittelte, um den akuten Schmerz zu lindern oder gar zu stoppen. Außerdem bekam ich mehrfach die Woche Biofeedback Sitzungen, um meinen Körper kennen zu lernen und damit ich lerne "zu entspannen", so bescheuert es klingt. Hierbei hatte ich das Glück, dass ich auch nach den 3 Wochen noch weiter Biofeedback bekommen konnte, da ich Dattelnerin bin und es ambulant weiter in Anspruch nehmen konnte.     
Insgesamt war das Programm in der Kinderklinik sehr gut auf den einzelnen Patienten zugeschnitten, so hatten einige mehr Sport, andere mehr Therapie usw. Sehr auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt, was ich sehr gut fand. Letztendlich nimmt jeder die Zeit auf der Station wohl anders wahr, aber was ich glaube alle gemeinsam haben ist, dass die Zeit einem Hoffnung vermittelt, und ich glaube, dass viele die dorthin kommen am Anfang ähnlich verzweifelt gewesen sind, wie ich es zu Beginn meiner Zeit war.

Eine Sache, die ich in der Therapie gelernt habe und auch weiterhin versuche, so gut wie möglich anzuwenden, ist, sich nicht vom Kopfschmerz bestimmen zu lassen. Jeden Tag eingraben, sich hinlegen und schlafen ist genau das Schlimmste, was man tun kann. Aktiv bleiben, rausgehen und "den Schmerz hinten anstellen" ist das einzige, was es besser macht. Sonst geht man mit den Kopfschmerzen ein. Ich weiß, dass ist gerade anfangs leichter gesagt als getan, aber mit der Unterstützung von Familie und Freunden geht das. Persönliche Gründe bei mir, die wahrscheinlich bei anderen nicht so zutreffen, waren auch, dass ich in meiner Umgebung ziemlich unterfordert und doch eher unglücklich als glücklich war. Dazu habe ich mir ALLES viel zu sehr zu Herzen genommen, was meinen Körper und meine Psyche sehr belastet hat. Es gab bei mir nur schwarz oder weiß, gut oder absolut schlecht. Das macht einen absolut fertig. Nach der Therapie auf 5C war ich noch eine ganze Weile ambulant bei einem Dattelner Psychologen in Behandlung und habe dadurch auch das "Schubladendenken" ganz gut in den Griff bekommen. Außerdem gehe ich vieles jetzt auch entspannter an und lasse es auch zur Not "einfach mal gut sein". Ein wichtiger Schritt zum inneren "Gleichgewicht", und damit weg von meinem Kopfschmerz. 

Ich war und bin nicht komplett kopfschmerzfrei. Ich habe mich relativ damit abgefunden, dass ich das nie sein werde. Aber es ist gut. Sehr gut. Leute die mich jetzt kennen lernen, würden niemals auf diese Geschichte kommen, außer ich setze mich in Ruhe hin und erzähle sie. 

Jetzt bin ich 21 Jahre alt und in wenigen Wochen werde ich mir im schwarzen Talar mein Bachelor Zeugnis an einer der besten Wirtschaftsunis Deutschlands abholen. In der Zwischenzeit habe ich eines der besten Abiture meiner Stufe gemacht, habe 6 Monate in Südafrika gelebt, 4 Wochen im afrikanischen Busch gecampt und bin 8 Wochen mit Rucksack durch 9 Länder Südostasiens getrampt. Ich sage das alles nicht, um eingebildet zu klingen, oder euch neidisch zu machen, sondern weil ich es selbst vor ca. 5 Jahren nicht für möglich gehalten hätte! Ich weiß, dass es jetzt gerade sehr schwer für euch ist und dass man manchmal den Kopf einfach in den Sand stecken möchte. Aber seht, was ich alles verpasst hätte. Und so wird es bei euch auch sein.  Manchmal überrascht es mich auch heute immer noch, wie gut es mir jetzt geht, aber ihr dürft die Hoffnung einfach nicht aufgeben. Immer nach vorne schauen, dass ist das wichtigste. Ich drücke euch die Daumen. 

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