Eyecatcher Für Jugendliche

25-jähriges Mädchen

Ich bin 25 Jahre alt. Meine Zeit in Datteln ist nun mittlerweile fast 8 Jahre her, ich war mit 17 zu einem stationären Aufenthalt auf der Station „Leuchtturm“.

Meine Erkrankung hat sich nie genau lokalisieren lassen. Ich leide unter „Fibromyalgie“, einem „Ganzkörperschmerz“, obwohl ich dazu sagen muss, dass das Wort „Fibromyalgie“ meiner Erfahrung nach lediglich eine Zusammenfassung vieler Symptome ist. Hierzu gehören vor allem Schmerzen in allen Körperteilen (bei mir vor allem der Rücken, die Hüfte, die Schultern und die Knie), Schlaflosigkeit, Müdigkeit und Kraftlosigkeit.

Bevor die ganze Odyssee, die folgte, begonnen hat, habe ich Leistungssport betrieben und mindestens sechsmal die Woche Sport gemacht. Ein Jahr lang habe ich mich mit den Schmerzen weitergequält, weil der Sport mein Leben war und ich diesen nicht aufgeben wollte. Nachdem ich irgendwann beim Training zusammengebrochen bin, hat mich meine damalige Trainerin in eine Sportklinik geschickt. Dort begann der Marathon an Arztbesuchen, Krankenhausaufenthalten, Physiotherapie, Psychotherapie und vieles mehr. Es gab viele kleine Diagnosen und doch keine, die meine Schmerzen in der Stärke hätte erklären können. Nachdem ich viele Wochen erfolglos in diversen Krankenhäusern verbracht habe und die Schmerzen immer schlimmer wurden, wurde ich von einem Arzt nach Datteln  überwiesen. Auch danach war ich noch einmal in einer Klinik für ganzheitliche Medizin, doch hier konnte man mir leider nicht die richtigen Werkzeuge an die Hand geben, um mit meinen Schmerzen fertig zu werden. Irgendwann habe ich für mich entschieden, dass ich keine Energie mehr in diverse Therapien verschwenden will, da die immer wieder aufkeimende Hoffnung mit jedem Misserfolg mich nur noch mutloser gestimmt hat.

Für meine Mitmenschen war meine Erkrankung und die damit einhergehenden Einschränkungen wahrscheinlich eine Zumutung, aber ich muss sagen, dass viele dieser Menschen unbewusst dazu beigetragen haben, dass ich mich noch sehr viel schlechter gefühlt habe. Menschen, die mir nahe standen, wie meine Familie und enge Freunde, waren mit der Situation völlig überlastet, was ich ihnen nicht verdenken kann. Ich weiß, dass sie versucht haben, mich nach bestem Wissen und Gewissen zu unterstützen, aber ziemlich schnell kam die Zeit, dass die Menschen genervt davon waren, dass es mir immer schlecht geht, so dass ich begonnen habe, nichts mehr davon zu erzählen und das Ganze mit mir selbst auszumachen. Ich weiß, dass ich vor allem meine Familie sehr dadurch belastet habe und dass sie einfach nur hilflos waren und deshalb im Zweifel nicht angemessen reagieren konnten. Mein Vater wollte es nicht wahrhaben und dachte, er könne das Ganze ungeschehen machen, indem er mich permanent anspornte, doch mal wieder dies oder jenes zu versuchen oder mich zusammenzureißen. Meine Mutter dahingegen hat mit ständiger Gereiztheit reagiert und meine Brüder hatten ständig Angst um mich, was mir wiederum große Sorgen bereitet hat.

In der Schule erging es mir nicht viel besser. Oftmals habe ich gehört, wie diverse Leute gesagt haben, dass ich das alles lediglich vorspielen würde, und sie haben mich ausgelacht oder dafür gemieden.

Durch diese Menschen habe ich gelernt, meine Schmerzen so gut es geht zu verbergen, ich muss sagen, ich habe dies bis jetzt perfektioniert. Mittlerweile bin ich sehr froh, dass ich diese Fähigkeit erlernt habe, da es mir sehr wichtig ist, dass mein Umfeld mich nicht anders behandelt und nicht merkt, dass ich nicht bin wie andere.

Aber es gab auch eine sehr gute Freundin, die zum Glück ein offenes Ohr für mich hatte und sich sehr viel Mühe gegeben hat, mich zu unterstützen. Das hat mich wahrscheinlich oft davor bewahrt, noch weiter in das schwarze Loch abzurutschen, das sich immer wieder vor mir aufgetan und gedroht hat, mich zu verschlingen.

Bei den Ärzten habe ich verschiedenste Erfahrungen gemacht. Zum einen gibt es die Ärzte, die meine Krankheit nicht anerkennen, ja sie sogar leugnen und mir wortwörtlich gesagt haben, dass ich mir das alles nur einbilde. Das hat mich sehr getroffen. Aber ich habe auch Ärzte und Therapeuten kennen gelernt, die mich ernst genommen haben und zumindest den Mut hatten, mir zu sagen, wenn sie nicht weiter wissen, anstatt zu sagen, dass alles lediglich Einbildung sei, die mir Mut gemacht haben. Hier kann ich nur jedem wünschen, dass er an fähige Leute gerät, die auf der einen Seite offen sind, auch Dinge zu akzeptieren, die man nicht in aller Deutlichkeit auf einem Röntgenbild sehen, die aber auch nicht irgendeinen Hokuspokus fabrizieren. Hier habe ich Erfahrungen mit Klangschalen und Rhododendrontropfen gemacht, die „natürlich“ (meine persönliche Meinung) auch nicht weitergeholfen haben.

Meine Zeit in Datteln hat mir vor allem dahingehend geholfen und war einzigartig, weil ich Menschen kennengelernt habe, denen es ähnlich geht wie mir. Ich habe hier auch eine gute Freundin kennengelernt, mit der ich immer noch im Kontakt stehe, auch wenn wir sehr weit auseinander wohnen. Es hat sehr geholfen, sich über die eigenen Erfahrungen mit jemandem auszutauschen, ohne zu viel erklären zu müssen. Das ist eine sehr positive Erfahrung, die ich aus Datteln mitgenommen habe. Außerdem hat man mir in Datteln beigebracht, dass ich mein Leben möglichst normal weiterführen muss, ohne mich mehr als nötig von meiner Erkrankung beeinflussen zu lassen. Trotzdem wurde aber nicht, wie in anderen Einrichtungen, der Druck aufgebaut, dass alles ganz einfach geht und man sich nur ein wenig anstrengen muss, um das Ziel eines „normalen“ Lebens zu erreichen. So einfach ist das nämlich nicht, wie jeder Betroffene wahrscheinlich weiß.

Ich kann zwar leider nicht berichten, dass sich meine Schmerzen signifikant gebessert hätten oder sogar verschwunden wären, aber ich sehe das mittlerweile nicht mehr als das einzige Ziel an. Ich glaube, dass man mit diesem Ziel vor Augen zu schnell in eine weitere Spirale des Drucks gerät. Mein wichtigstes Ziel ist mittlerweile geworden, mein Leben so normal wie möglich zu leben, an möglichst vielen Bereichen des Lebens teilzunehmen. Hier muss man teilweise Rückschläge einstecken, weil doch nicht alles geht, aber was mein Ziel vielleicht am besten verdeutlicht ist das Folgende:

Während meiner Zeit in Datteln hatte ich in einer Sitzung die Aufgabe, in die Zukunft zu blicken und meine schlimmste, meine wahrscheinlichste und meine schönste Zukunft aufzuschreiben. Ich habe diese Unterlage vor nicht allzu langer Zeit wiedergefunden und durfte feststellen, dass sich alle meine damaligen Wünsche bewahrheitet haben. Ich habe ein sehr gutes Abitur gemacht, habe in Regelstudienzeit mein BWL-Studium in meiner Traumstadt und ein Praktikum in meinem Traumland absolviert und bin nun schon seit zwei Jahren in meinem Traumberuf bei der weltweit größten Firma für den Bereich, in dem ich arbeite. Außerdem habe ich seit vier Jahren eine tolle Beziehung und lebe mit meinem Freund zusammen. Und das alles trotz Dauerschmerzen…

Ich weiß, dass meine Geschichte zunächst einmal nicht so positiv klingt, ich habe die Schmerzen nicht besiegen können, aber ich habe das meiste erreicht, was ich erreichen wollte und kann im Großen und Ganzen sagen, dass ich ein gutes Leben führe. Ich glaube daran, dass ein realistischer Blick auf die Dinge sehr viel mehr helfen kann, als die Hoffnung, die einem irgendwelche Ärzte, überbesorgte Eltern und Freunde oder innovative Therapien eintrichtern. Man sollte an sich selbst glauben, daran, dass man die Kraft hat, dem Schmerz die Stirn zu bieten und das Beste aus der Situation zu machen.

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